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[DE] Bauteileknappheit! Wie kann man fündig werden?

Ihre Fertigung steht still, weil für den Bau eines Gerätes eines von 700 Bauteilen fehlt. Natürlich haben Sie bereits nachgeschaut in den gängigen Suchmaschinen wie

  • SiliconExpert
  • Findchips
  • Octopart
  • Z2Data

Und da war nichts – oder der Preis war horrend.

Was tun?

Die folgende Anleitung können Sie manuell durchgehen oder automatisieren.

Die Aktionen sind sortiert nach Aufwand: Die einfachste Aktion1 zuerst, wenn sich damit nichts finden lässt: Aktion2 usw.

Aktion1: Gibt es in irgendeiner ihrer Fabriken noch Bestand derselben Firmen-Teilenummer?

Das der triviale Fall: Dieselbe Firmen-Teilenummer (=FTN) sollte über alle Ihre Fabriken austauschbar sein. Das bedingt allerdings eine Grundregel:  Die „Approved Manufacturer Parts list“ = AMPL muss global für die gesamte Firma definiert sein. Das klingt selbstverständlich, ist aber nicht immer der Fall; z.B. bietet SAP die Möglichkeit, eine AMPL individuell für jede Fabrik zu definieren – in meinen Augen super gefährlich. Später mehr dazu in einem extra Blogartikel.

Sollte Lagerware in Fabrik B vorhanden sein, ist die technische Seite gelöst. Die politische Seite beginnt damit, die Lagerware auch zu bekommen. Keiner gibt freiwillig was ab. Kontaktieren Sie die erste Manager-Ebene, die mehrere Firmen überblickt. Mehr Details zur AMPL hier

Aktion2: Werden in Ihrer Firma dieselben Hersteller-Teile (HTN) unter einer anderen FTN verwendet?

Hierzu erinnern wir uns nochmal an ein Bild vom AMPL Artikel:

Angenommen, keine der freigegebenen Hersteller-Teile von FTN 3 sind gerade lieferbar. Wir sehen, dass die FTN4 die 2 mittleren Hersteller-Teilenummern = HTN’s gemeinsam hat. Diese sind natürlich ohne den Segen der Entwicklung sofort einsetzbar. Heißt: Bestand von FTN4 prüfen.

Aktion3: Welche Bauteile-Alternativen sind bekannt?

3.1: Haben andere FTN’s in ihrem Unternehmen noch zusätzlichen HTNs freigegeben?

Bleiben wir beim Bild oben. Sie haben Bestand der FTN4 ausfindig gemacht, jedoch ist das Lager gefüllt mit der Hersteller-Teilenummer 4, die ja für Ihr Bauteil FTN 3 (noch) NICHT freigegeben ist.

Aber: Die Wahrscheinlichkeit, dass es einsetzbar ist, liegt bei 90%. Warum? Die andere Teilenummer hat es ja auch freigegeben. Oder mathematisch ausgedrückt:

Wenn HTN1=HTN2=HTN3 und HTN2=HTN3=HTN4, dann sollte auch HTN1=HTN4 sein, also auch für ihre Firmen-Teilenummer 3 gut genug sein. Die Entwicklung muss das natürlich noch prüfen.

3.2: Welche Alternativen schlägt SiliconExpert vor

Gängige Tools wie SiliconExpert kennen sogenannte „crosses and options“, sortiert nach Ähnlichkeit.

Geben Sie dort die HTN1,2 oder 3 ein, erscheint die evtl. von ihnen vorher abgesuchte „Inventory Liste“ = Händler-Bestände. Das Resultat war wohl „Inventory =0 Händler gefunden“, sonst müssten Sie nicht bis hierher lesen.

Darüber hinaus gibt es aber auch noch die Spalte „Crosses“, abgestuft nach:

  • „A“ = wirklich identische Funktionen und dasselbe Gehäuse bis
  • „D“: das passt nur nach Änderung des Layouts

Aktion4: Automatisierte Suche

Nun haben Sie eine hoffentlich längere Liste von Herstellerteilen, die (nach Prüfung durch die Entwicklung) verwendet werden könnten. Diese können Sie Teil für Teil – und ggf. Tag für Tag mit den eingangs erwähnten Suchmaschinen checken.

Die professionellere Lösung:  Schreiben Sie ein Tool, dass die Aktionen 1-3 für Sie erledigt, und dann mit der Ergebnisliste bekannte Suchmaschinen für Sie arbeiten lässt. Das Zauberwort heißt hier: „API = Advanced programmer interface“. Dies bedeutet, dass Ihr Component Engineering Server direkt mit der Suchmaschine kommuniziert, ohne dass Menschen Teilenamen in eine Weboberfläche kopieren müssen. Einmal oder 1000 Mal, den Maschinen ist das egal.

Jedoch funktioniert diese Automatisierung nur zuverlässig, wenn Sie Ihre Hausaufgaben aus diesem Blogartikel gemacht haben. Nur korrekt geschriebene Hersteller-Teilenummern werden von den Suchmaschinen sicher korrekt verstanden – und Lagerware gefunden. Jetzt wird vielleicht verständlich, warum der Blogartikel beginnt mit: „Warum ist die Rechtschreibung (der Hersteller-Teilenummern) fundamental.

Alle diese Automatisierungen sind machbar. In weniger Zeit als Sie denken. Fragen Sie mich einfach, ich helfe gerne. Auch bei der kreativen Suche.

4.Verzweiflungstaten

4.1: Die Entwicklung einbinden

Auch ich war früher NPI Entwickler, deshalb weiß ich, wie eine Anfrage des Einkaufs abgearbeitet wird (oder kann, aber nicht sollte): Als Entwickler für Neuprodukte sehen Sie Ihre Arbeit nicht im Aufrechterhalten der Produktion von altem Zeug.  Altes Zeug: Das ist die Definition der Entwickler von: „Wird jetzt produziert und verkauft“.

Helfen Sie als Entwickler bei der Auswahl von Alternativen, haben Sie nur Risiko und verzögern Ihr NPI Projekt. Sagen Sie einfach „geht nicht“, können Sie sofort zu Ihrer NPI-Arbeit zurück, vermeiden jegliches Risiko; ob das Teil verwendbar gewesen wäre, kann sowieso keiner außer Ihnen sagen.

Was tun?

Aufteilung der Entwicklungsmannschaft in

a) NPI

b) Sustaining und Component & Value Engineering.

Dazu ebenfalls mehr in einem späteren Blogartikel. Vorab: Was ich in den letzten 27 Jahren meiner Tätigkeit NIE habe funktionieren sehen, ist: Lassen wir unsere Entwickler 80% an NPI und 20% an der Aufrechterhaltung bestehender Produkte arbeiten. Was aber funktioniert, war: Lassen wir 80% der Entwickler ausschließlich an NPI arbeiten und 20% der Entwickler ausschließlich an Component Engineering, Zweitlieferquellen, Produktionsstops, Abkündigungen usw.

4.2: Die Leiterplatte ändern

Eines der Totschlag-Argumente bei Alternativ-Bauteilen ist: „Das passt nicht auf die Leiterplatte ins Layout“. Stimmt oft. Wenn die Situation aber verzweifelt genug ist, mag sich eine Layout-Änderung lohnen. Beispiel: Doppelte Pads für Kondensatoren Größe 0805 und 0402. Evtl. erinnern Sie sich noch an die MLCC Krise 2019? Wenn die Zukäufe in den 6-stelligen Kostenbereich gehen, zahlt sich eine Layout-Änderung schnell aus. Die Entwicklung hat keine Zeit dafür? Auch keine Ausrede. So etwas lässt sich einfach outsourcen. Fragen Sie Spezialisten wie Tecnotron. Mit Tecnotron habe ich immer sehr gute Erfahrungen gemacht, insbesondere bei Layouts.

4.3: Mehr unorthodoxe Lösungen

Je länger die Produktion steht, je mehr die Kunden sich beschweren oder gar abspringen, desto kreativer werden die Lösungen üblicherweise. Warum warten, bis es soweit kommt? Besser gleich kreativ werden.

Fast schon trivial sind „Upgrade“ Alternativen, wie: 

  • kleinere Toleranz des Widerstands- oder Kapazitätswertes
  • Höhere Temperaturbeständigkeit
  • Höhere Spannungsfestigkeit.
  • Microprozessoren mit mehr Speicher, zusätzlichen Funktionen etc.

Aber auch „Downgrade“ Alternativen können funktionieren:

  • Geringere Stromfestigkeit, falls die sowieso nicht benötigt wird
  • Eventuell nur zutreffend für einen Teil der Geräte

Anpassung der Firmware

  • Speicherchips nicht freigegebener Hersteller funktionieren evtl. nicht, einfach weil die Herstellerkennung im Chip als „Whitelist“ abgefragt wird: Passen Sie die Firmware an.
  • Die Software-Ansteuerung des EEPROMs ist leicht unterschiedlich: Suchen Sie nach einer ehrlichen Antwort, wie lange die Anpassung des entsprechenden Software Treibers wirklich dauert.

Anekdote: Ein Speicherchip war bis 105 Grad spezifiziert, da eines der Geräte dies benötigte. Andere Geräte wurden wegen Vermeidung von zusätzlichen Teilenummern ebenfalls mit diesem Chip gebaut. Bei Bauteileknappheit verwendeten wir den günstigeren, verfügbaren 80 Grad Chip für alle außer des einen Gerätes.

Fazit:

  • Eine korrekte AMPL Liste kann auch hier das Fundament für Erfolg sein.
  • Geben Sie nicht auf, wenn sich auf Anhieb nichts unter der identischen FTN=Firmen-Teilenummer finden lässt.
  • Tools zu benutzen und selbst zu schreiben lohnt sich.
  • Die Suche nach verfügbaren Bauteilen ist jenseits der freigegebenen Herstellerteile eine sehr individuelle Sache. Binden Sie die Entwicklung ein.
  • Fragen Sie mich, ich helfe gerne: Bei der Suche, als auch bei der Verbesserung Ihrer Datenqualität, oder wenn Sie mutig genug sind: Bei der Transformation ihrer Entwicklung.